Dienstag, 11. August 2009

Vom Geschichtenerzähler Enzo und einem sonnigen September



Es ist Nacht, der Katzen schönste Zeit. An ganz normalen Tagen bin ich mit der Katzenbande zu dieser Stunde schon im Dunkel verschwunden. Die Dächer der umliegenden Häuser, Büsche, Bäume, Gartenhäuser, Keller und ein alter Hühnerstall laden ein zu tausendundeinem Abenteuer. Irgendwann aber haben wir genug Mäuse gefangen, Nachtfalter gejagt und den Kröten hinter her gesehen, die Alten eher, die Kleinen etwas später. Schließlich besitzen sie noch die Ausdauer der Jugend. Und dann wird es auch schon Zeit für den nächtlichen Diskussionskreis. Hintereinander huschen alle Katzen des weiteren Umfeldes in Renates zum Geräteschuppen umgestalteten Hühnerstall, setzten sich auf Abstand bedacht in einem so großen Rund zusammen wie es die Wände des Stalls erlauben und der Austausch der Tagesereignisse beginnt. Die Alten, der vielen Reden müde, setzten sich in majestätischer Haltung auf die Reste der etwas abseits liegenden Strohballen. Sie genießen das Zusammensein wortlos,erinnern sich an vollbrachte Heldentaten und viele Streiche, die die Jungen ihnen niemals zugetraut hätten. Aber sie schweigen, wissen sie doch das Taten aus vergangener Zeit die Jugend wenig interessiert. Ihr Leben steht jetzt im Mittelpunkt. Lenin, seit Minous Verschwinden mein allerbester Kumpel, gesellt sich zu mir. Es gibt Tage, da kann ich seine Anwesenheit nur schwer ertragen, obwohl ich ihn gern habe und seine Art sehr schätze. Aber er kam ins Haus, weil Minou verloren ging...
Natürlich versuche ich die negativen Gefühle zu verbergen, aber Lenin ist sehr feinfühlig und erkennt meine Stimmung sofort und dann zieht er sich traurig in sich selbst zurück. Heute geht es mir gut und Lenin ist entspannt und glücklich. In seinem ersten Lebensjahr lebte er mit neun anderen Katzen bei einer uralten Dame. Sie wurde krank und es blieb keine Hoffnung auf Genesung und ihre Kinder kamen aus der Ferne und brachten Lenin und seine Familie in das seit einiger Zeit ständig überfüllte Tierheim. Sie wurden gut versorgt und fügten sich geduldig in ihr Schicksal. Als Renate meine Trauer über den Verlust meiner kleinen Schwester nicht mehr mit ansehen konnte, sie selber bei meinem Anblick auch immer trauriger wurde und die alten, ach was sage ich, die uralten Katzen Luigi, Kitty und Carlito auch nur weise Sprüche von sich gaben, sagte sie, jetzt ist Schluss mit der Trauer, jetzt fahre ich ins Tierheim, und sie sah Lenin in die Augen und spürte, das ist der richtige Kumpel für Enzo. So war es auch und er ist es immer noch. Die kleine alte Kitty ist gestorben, aber das ist eine andere Geschichte und es kamen die wunderschöne Arischa und ihr Halbbruder Dimitri ins Haus. Heute durften die beiden das erste Mal mit uns in die Dunkelheit hinaus. Mit großen staunenden Augen liefen sie an unserer Seite, tobten, haschten nach Unbekanntem, wollten gar nicht mehr von dem mit Efeu bewachsenen Dach herunter kommen, fielen fast in den Teich. Aber Lenin und ich sind gute Pflegeväter, keinen Augenblick lassen wir sie aus den Augen.Jetzt sind wir vollzählig versammelt, fast vollzählig muss ich bemerken. Der dicke Bilbo trudelt immer etwas später ein. Er kontrolliert noch diverse Futternäpfe, die die Menschen für die Igel gefüllt haben. Nicht das jetzt jemand etwas Falsches denkt, er kontrolliert sie nur, sein Körperumfang spricht für sich, er hat das nicht nötig, er wird bestens versorgt.
Alle Augen sind auf mich gerichtet, wollte ich doch vom wunderschönen Herbst mit Minou erzählen. Lenin und die Kleinen kennen die Geschichte auch noch nicht und ich überlege, wie ich beginne. Es war September, wunderschönes Wetter und Renates Mann packte das Auto, schleppte Koffer, Katzenkörbe, Spielzeug, Blumenstauden, Bambus, und Büsche, alles Ableger aus unserem Garten, ins Auto. Minou und mich verfrachtete er im Reisekorb, und alles wurde im Auto verstaut. Die Alten wollten zu Hause bleiben, Reisen lehnten sie ab. Für Betreuung, Fressen und Streicheleinheiten war gesorgt. Unser Ziel war der Garten, indem One und Two in jeder freien Minute Fußball spielen. Hier begann unsere Freundschaft. Gemeinsam wurde gebuddelt, gegossen, Ball gespielt und traurig kletterten wir nach einer Woche wieder ins Auto, als es nach getaner Arbeit, viel Geschnatter und Gelächter, Sekt trinken, Kuchen essen und Sahne schlecken, Herzen und Küssen hieß, Abschied zu nehmen, ab nach Hause. Kommen wir von einer längeren Fahrt zurück führt Renates Schritt sie zuerst in den Garten. So auch diesmal. Unseren Reisekorb noch in der Hand, sich hinunter beugend um ihn abzustellen, fällt ihr Blick auf die Wiese unter den Walnussbaum. Oh Schreck, Minou und ich springen aus dem Korb, den Renate
unsanft, aber bereits geöffnet, auf die Erde fallen lässt. Was ist passiert? Die gesamte Nachbarschaft scheint ihre Regenfässer, Speisskübel und einen Pool auf unserer Wiese abgestellt zu haben. Schnell löst sich das Rätsel. Der Teich hat ein Loch, die Fische sind in den Pool umgezogen, die Wasserpflanzen versuchen in den zahlreichen Behältern zu überleben. Das mussten wir begutachten. Wir rannten zum Pool und vorsichtig balancierten wir auf dem dicken Luftring. So nah waren wir den Fischen noch nie. Renate hatte uns von Anfang an unmissverständlich erklärt, sie duldet nicht, wenn wir Tiere töten, ausgenommen Mäuse und Ratten. Schweren Herzens richten wir uns danach, auch wenn es an manchen Tagen sehr schwer fällt, vor allem dann, wenn wir alleine sind und unsere Taten von niemanden bemerkt werden. Renate trat an den Pool, nahm jeden von uns in eine Hand und aus war der Traum, den Fischen nahe zu sein.
In den nächsten Tagen verwandelte sich der Garten in ein wunderschönes Chaos und der Teich war nur noch ein großes Loch mit steilen Wänden. Minou und ich waren erst ein paar Monate alt und dieser Trichter riesig und auf Renates Wunsch vergrößerten ein paar nette junge Männer ihn noch und legten Terrassen an, formten und verschönerten die gesamte Ansicht, und unsere Spiellandschaft war vollkommen. Wir jagten uns kreuz und quer, hinauf und herunter und rundherum. Im Flachland geboren und aufgewachsen konnten wir uns jetzt vorstellen, wie schön es sein muss in den Bergen herumzulaufen. Alles machten wir gemeinsam. Selbst der alte Luigi gesellte sich an diesen Sonnentagen zu uns, und wenn er auch nicht mehr soviel tobte, den herunter kullernden Lehmbrocken lief er auch hinterher. Kitty lag auf ihrem Lieblingstisch und blinzelte uns wohlwollend zu. Immer wieder liefen wir zum
Pool, sahen Renates besorgten Blick. Sie fürchtete um Goldorfen, Koi und Bitterlinge. Zügig sollte die Arbeit voran schreiten, damit vor dem Winter alles schön gemütlich für die Fische wäre. Und eines Tages war es dann soweit. Wir wurden des Teiches verwiesen, freundlich aber bestimmt. In angemessener Entfernung beobachteten wir die starken Jungs, die die riesige Kautschukplane mit lautem Hauruck auslegten, sich gegenseitig auf die Schulter klopften und Renate zufrieden lachte. Regenwasser lief ein, Unterwasserpflanzen wurden eingesetzt und die Spannung stieg. Was passiert mit den Fischen. Können wir vielleicht doch einen schnappen, einen ganz kleinen? Ihr könnt es euch denken. Wie geschickt wir es auch anstellten, Renate ließ sich nicht ablenken. Minou veranstaltete die größten Faxen, stellte sich auf die Hinterbeine, imitierte ein Erdmännchen, verfolgte auf dem Rand des Pools einen Marienkäfer, zeigte kein Interesse für die Fische. Pirouetten drehend tanzten wir zu den Fässern, knabberten an Gräsern, folgten springend einem weißen Schmetterling. Renate amüsierte sich über unsere Mätzchen, durchschaute sie aber. Sorgsam nahm sie die Fische aus dem Pool, in dem nur noch wenig Wasser war und ließ uns erst aus den Augen als der letzte Fisch umgesetzt war. Erschöpft aber zufrieden nahm sie uns auf den Arm, stellte sich an den Teich und wir schauten gemeinsam den dicken Goldorfen zu, die aufgeregt ihre Bahnen zogen. Endlich wieder Platz, riefen sie. Aber das verstanden nur Minou und ich. Stolz erzählten wir allen im Garten lebenden Tieren, die Fische haben die Aktion unbeschadet überlebt. Seite an Seite saßen wir von nun an jedem Abend am Wasser, beobachteten die Fische, sahen den Wasserläufern zu, und grübelten, wie sie es schafften ohne Hilfe über das Wasser zu laufen. Wir versuchten das auch, immer wieder, wir wollten nicht glauben, dass diese kleinen Käfer etwas können, das uns nicht gelang. Aber unsere Versuche scheiterten kläglich. Immer wieder versanken wir im Wasser, schwammen jedes mal aufs Neue erschrocken ans Ufer, beobachteten weitere Stunden, ja Tage, die kleinen Tiere und ergründeten ihr Geheimnis nicht. Nachdem wir dann noch einige missglückte Laufversuche auf dem Wasser unternahmen, den im Zickzack-Kurs fliegenden Libellen hinterher sprangen und dabei auch im Wasser landeten, und zu unserer Schmach jedesmal in ein Badetuch gewickelt wurden, gaben wir auf und achteten auf einen angemessenen Abstand zu allen am und im Wasser lebenden Tieren. Nichts sollte uns mehr locken.
Wenn Minou und ich aus lauter Neugier und Übermut ins Regenfass fielen, Renate uns trocken rubbelte und tröstende Worte sprach, das konnten wir genießen. Das tat gut. Aber nach einem wohl überlegten Versuch, der dann kläglich scheiterte, lachend in ein Handtuch gewickelt zu werden, das war zu viel, das war gegen die Katzenehre. Da waren Minou und ich einer Meinung.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen